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Die Highlights der re:publica 2011 in Berlin

Aktualisiert am 17. Aug. 2020
MASSIVE ART Blog: Julia Probst

Berlin, Friedrichstadtpalast mit angeschlossener Kalkscheune. Wieder einmal haben sich rund 3.000 Onliner zusammengefunden, um spannenden Vorträgen zu lauschen und sich rege auszutauschen. Das war die re:publica 2011. Nachdem ich das letzte Jahr zum ersten Mal dort war und voller neuer Gedanken und Ideen zurück gekehrt bin, war es gar keine Frage, dass ich auch dieses Jahr wieder teilnehmen würde.

Viel Kritik musste sie dieses Jahr einstecken, u. a. weil die Raumlogistik zum Teil nicht funktionierte, aber auch weil einige Vorträge hinter dem scheinbar lange gewohnten Niveau zurück blieben. In Summe betrachtet war die Konferenz aus meiner Sicht aber wieder ein Erfolg. Das mache ich zum einen daran fest, dass ein paar der Vorträge tiefen Eindruck bei mir hinterlassen haben, zum anderen war es wieder ein großes Klassentreffen mit all den Onlinern, zu denen man während des Jahres doch eher nur digitalen Kontakt hat.

Aber nun direkt zu den bemerkenswerten Highlights, von denen ich schon kurz auf unserer Facebook-Seite berichtet habe:

Gunter Dueck. Das Internet als Gesellschaftsbetriebssystem.
Nicht zuletzt wegen der Raumquerelen in der Kalkscheune hatte ich mich dazu entschieden, mir diesen Vortrag im Friedrichstadtpalast anzusehen und hatte eigentlich keine besondere Erwartung an das Thema und den Vortragenden. Das sind wohl die besten Voraussetzungen, um sowohl von Rhetorik und Inhalt geflasht zu werden. Als Gunter Dueck die Bühne im Anzug betrat und der CTO von IBM mit leiser und etwas zittriger Stimme zu reden begann, haben sicherlich noch viele die Stirn gerunzelt, aber das Stirnrunzeln war bei allen nach ein paar Minuten wie weggeblasen und wurde von leuchtenden Augen abgelöst.

Das Betrachten des Videos sind sehr gut investierte 50 min, die einen recht plausiblen Ausblick geben, wohin wir uns mit Hilfe des Internets gesellschaftlich und professionell weiter entwickeln werden. Kurz gefasst: Der Großteil der heutigen gehobenen Berufe wird künftig durch Internet-basierte Services überflüssig. Diese Nachricht ist verbunden mit dem Appell, unsere im Vergleich zu früher deutlich bessere Ausbildung für die aktive Mitgestaltung zu nutzen, anstatt passiv zu kommentieren und zu konsumieren. Aber das kann nur eine ungenügende Zusammenfassung dessen sein, was der volle Vortrag begründet.

Über die Person Gunter Dueck. Zum Video des Vortrags.

Thomas Pfeiffer. Wenn Linke Linke verlinken.
Wir umgeben uns naturgemäß lieber mit Menschen, die ähnliche Meinungen vertreten und die über ein vergleichbares Wertesystem verfügen. Das führt dazu, dass wir im Austausch mit diesen Menschen wenig hinzulernen, sondern eher unsere eigenen Meinungen und Kenntnisse als ein Echo gespiegelt von ihnen zurück erhalten. Glücklicherweise sind Echoräume gegenüber anderen Echoräumen wiederum so durchlässig, dass sich relevante Informationen und neue Ansichten auch über verschiedene Räume hinweg verbreiten können.

Wie das geschieht, hat Thomas wunderbar aufbereitet und am Beispiel twitternder Parteivertreter dargestellt. Wobei gerade dieses Beispiel meines Erachtens vorsichtig interpretiert werden muss, da das Folgen auf Twitter auch immer eine öffentliche Bekundung von Übereinstimmung und Zugehörigkeit bedeutet. Und dieser Faktor dürfte bei Politikern die Wahl der Followings massiv beeinflussen.

Über Thomas Pfeiffer. Das Video des Vortrags.

Sascha Lobo. Jüngste Erkenntnisse der Trollforschung.
Unterhaltsamstes Highlight war wieder einmal der Vortrag von Sascha Lobo. Im letzten Jahr lautete der Titel seines Vortrags, How to survive a shitstorm‘, wozu er neben dem eigentlichen Thema auch über seinen persönlichen Umgang mit Trollen berichtet und sogar einen von ihnen vor dem gesamten Plenum namentlich geoutet hat. Dieses Jahr hat er verschiedene Strategien aus der Praxis vorgestellt, wie man diese lästige Erscheinung in den Griff bekommt. Zeitgleich hat er aber auch dargelegt, warum diese ,Destruenten‘ gleichzeitig ein notwendiger Faktor in der Weiterentwicklung des Internet sind.

Eingeleitet hat er seinen Vortrag übrigens mit einer herzhaften Schimpftirade über alle deutschen Blogger, die seiner Meinung nach allesamt zu leise und unauffällig sind, um von den Medien wahrgenommen zu werden. Und so sei es immer er, der lästigerweise angefragt würde, wenn es eigentlich auch ein anderer Blogger getan hätte - wäre er nur laut und sichtbar genug gewesen! Sicher haben sich ein paar Blogger tatsächlich beleidigt gefühlt, weil sie den im Prinzip konstruktiven Appell nicht verstanden haben, aber das dürften ohnehin die sein, die auch künftig nicht gefragt werden...

Insgesamt war es wieder eine gelungene Show mit viel Erkenntnisgewinn und Grund zum Lachen. Ich habe am Abend noch kurz mit ihm sprechen können und kann all den Kritikern nur versichern: Er ist ein absolut sympathischer, feiner Kerl, dem viele nur seine Eigenwilligkeit und die Konsequenz, mit der er diese vertritt, neiden. Von seinen Fähigkeiten als Autor und Redner mal ganz zu schweigen. Und von seiner Frisur.

Über Sascha Lobo. Seine Website. Das Video des Vortrags.

Julia Probst. Blogger_innen im Gespräch.
Bei einem Diskussions-Panel mit Bloggern kam neben Anderen auch Julia Probst zu Wort. Sie ist seit ihrer Geburt gehörlos und hat sich in der Onlinewelt spätestens seit der WM im letzten Jahr einen Namen gemacht. Dort las sie die Äußerungen von Spielern und Trainern, die nicht in Ton übertragen wurden, von den Lippen ab und twitterte diese. Später hat sie auch das Dreikönigstreffen der FDP im Bezug auf die Körpersprache übersetzt und kommentiert. Die Feststellungen bei Abweichungen zwischen Gesagtem und dem, was die Körpersprache verriet, war erschreckend.

Im Interview selbst hat sie sehr eindringlich klar gemacht, wie wichtig es ist, in den Medien für mehr Barrierefreiheit zu sorgen. Dabei ist hier nicht einmal der Aufwand das Problem, sondern die Tatsache, dass sich jemand konsequent darum kümmert und es zu seiner Aufgabe macht. Das gesamte Gespräch wurde von einer Gebärdensprache-Dolmetscherin übersetzt, die auch Applaus anzeigte: beide erhobenen Hände werden in der Luft gewedelt (sorry, kann es nicht besser beschreiben). Als das von immer mehr im Publikum wahrgenommen wurde, applaudierten gegen Ende des Interviews immer mehr in Gebärdensprache bis beim Abschlussapplaus fast der gesamte Friedrichstadtpalast still mit wedelnden Armen applaudierte - Gänsehaut pur!

Über Julia Probst.

Foto: re:publica

Alles in allem eine runde Sache und ich werde mit Sicherheit auch kommendes Jahr wieder in Berlin sein. Freue mich jetzt schon darauf!